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„Cash before Profit“ oder „Liquidität vor Rentabilität“

Geschrieben von Dr. Bernd-Michael Brunck am 22. Mai 2020



Wie stellt sich die aktuelle Situation aus der Finanzperspektive dar?


Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind für alle überdeutlich sichtbar und persönlich spürbar, sei es durch Einschränkungen in der privaten Mobilität oder -hoffentlich temporären- Schließung von Standorten und Unternehmen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten sind in vielen Branchen stark bis ganz eingebrochen, teilweise bis zu 100%. Rund 45% der deutschen Mittelständler sind einer aktuellen Studie zufolge in Ihrer Existenz bedroht. 

Trotz Rücknahme vieler Pandemie-bedingter Einschränkungen in den vergangenen 2 Wochen hat der Wiederanlauf bisher noch nicht wirklich begonnen. Eines ist  jedoch ganz sicher unabwendbar: Er benötigt Liquidität.

Und die Rechnung ist einfach: Kein Absatz gleich kein Umsatz gleich keine Einnahmen! Die Sicherstellung einer ausreichenden Liquidität auch aus anderen Quellen als Absatz/Umsatz ist das existentielle Thema. Nur Absicherung und Erhöhung der Barmittel ermöglicht das kurzfristige Überleben und den Wiederanlauf in den kommenden Monaten.

Das Motto lautet also zwangsläufig: „Cash before Profit“.
 

Was sind die kritischen Handlungsfelder und Stellschrauben?


Zur Sicherung und Stärkung des operativen Cash Flows und der verfügbaren Liquidität muss die ganze Klaviatur gespielt werden. Dies bedeutet intensives und konsequentes Kostenmanagement, eine Reduzierung des Working Capitals und schlimmstenfalls sogar eine kurzfristige Reduzierung von Investitionen.

In der praktischen Umsetzung gehört hierzu auch, Ausgaben zu untersagen, extrem niedrige Freigabegrenzen zu installieren, geplante Investitionen zumindest zu verschieben oder zu stückeln, laufende Projekte zu unterbrechen bzw. zu beenden.

Und beim Working Capital sind alle Register des Forderungs-, Bestands- und Lieferantenmanagements zu ziehen.

„Last but not least“ muss auch die Finanzierungsseite einen wichtigen Beitrag leisten, durch die Absicherung bestehender Finanzierungen und die Erschließung neuer Finanzierungsquellen.
 

Der erste Schritt


Um alle Treiber der Unternehmens-Liquidität zu erkennen und Handlungsoptionen bewerten zu können, bedarf es daher einer umfassenden Liquiditätsplanung. Besteht sie nicht oder nur rudimentär, ist sie sofort auf- bzw. auszubauen.

Sie sollte eine Tagesplanung für die nächsten 2-5 Wochen, eine Wochenplanung für die folgenden 2-3 Monate und eine monatliche Grobplanung für die darauffolgenden 9-15 Monate beinhalten. Der minimale Zeitraum sollte unbedingt die insolvenzrechtlich relevanten 13 Wochen umfassen.

Die täglich rollierende Aktualisierung aller Cash-Daten muss dabei zur Selbstverständlichkeit werden; der Zeit- und  Datenaufwand dafür sollte nicht unterschätzt werden.

Um den Rahmen zu setzen, muss ganz am Anfang die erwartete Markt-, Absatz- und Umsatzentwicklung der kommenden 24 Monate detailliert und in verschiedenen Szenarien (inkl. „Worst Case“) abgeschätzt werden. Denn erinnern wir uns:

Die Auswirkungen der Finanzkrise 2008 / 2009 auf die Wirtschaft, obwohl (gemessen am Einbruch der Wirtschaftsleistung) erheblich geringer als in der aktuellen Situation, benötigten fast 2 Jahre, bis das Vorkrisen-Niveau wieder erreicht wurde.

Welchen Erholungsverlauf können wir in der aktuellen Krise erwarten? Eine kometenartige Rückkehr werden wir sicher nicht erleben dürfen. Die Genesung wird in den einzelnen Wirtschaftsbereichen sehr unterschiedlich sein, Dienstleistungssektoren anders als der Handel oder die Automobilindustrie. Die globale Vernetzung und Abhängigkeit erhöhen die Komplexität weiter. Und wie hoch ist das Risiko für einen 2. Lock Down?
 

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Mit Szenarien arbeiten


Eine belastbare Prognose ist fast unmöglich. Um diese Unsicherheit und Komplexität greifen zu können, sollten Szenarien mit unterschiedlichen Zeithorizonten und Annahmen über die für meinen relevanten Markt zu erwartende wirtschaftliche Erholung erarbeitet werden.

Dabei stellen sich viele Fragen, z. B. wie werden sich die unterschiedlichen Produktbereiche nach Regionen und Absatzkanälen im Zeitablauf erholen oder auch nicht erholen? Hat sich die Preissensitivität geändert? Sind die Serviceanforderungen gestiegen? Sind neue Vertriebskanäle entstanden?

Darauf basierend geht es an die Anlaufplanung der Fertigung und die Materialbeschaffung. Sind die Fertigungsprozesse entsprechend der Erholungsannahmen skalierbar? Bedarf das Wiederanfahren des Maschinenparks besonderer Maßnahmen und verursacht zusätzliche Kosten? Sind die Lieferketten stabil und können sie den unterschiedlichen Bedürfnissen angepasst werden? Stellen die Lieferanten neue Anforderungen? Gibt es Arbeitszeitregelungen, damit in der Fertigung und den Servicebereichen im notwendigen Umfang „geatmet“ werden kann?

Und natürlich sind die Auswirkungen des Aufweckens der übrigen Unternehmensbereiche aus ihrem Winterschlaf wie Marketing, IT und Facility Management auf die Liquidität ebenfalls mit einzubeziehen.

Jetzt liegt die Liquiditätsplanung in Ihren verschieden Varianten vor uns. Der Moment der Wahrheit ist gekommen: Welche Liquidität, welchen Cash Flow kann das Unternehmen aus eigener Kraft generieren, welche zusätzlichen Barmittel werden benötigt? Reichen die bestehenden Finanzierungen für den Wiederanlauf aus? Jetzt beginnt die wirksame Umsetzung: Die Einsparmaßnahmen müssen realisiert, strukturelle Veränderungen herbeigeführt und das Finanzierungskonzept muss ausgearbeitet und die Verhandlungen mit möglichen Finanzierungspartnern müssen geführt werden.
 

Teamleistung und Kommunikation in der Umsetzung


Die Vielzahl der Handlungsfelder und Aufgaben zeigt, dass das keine Aufgabe allein des Treasury oder des Controlling sein kann. Eine erfolgreiche Liquiditätssicherung und -steuerung kann nur in einem agilen und bereichsübergreifenden Team, das die uneingeschränkte Unterstützung von Unternehmensführung und -eignern hat, erreicht werden. Dieses Team fungiert als Task Force. Die Besetzung und die Kompetenzen müssen der Bedeutung und den Anforderungen der Aufgabe entsprechen. Die obersten Führungsebenen müssen aktive „Treiber“ sein.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist dabei eine offene, transparente und glaubwürdige Kommunikation nach innen und nach außen. Diese schafft das Vertrauen, das in diesen so volatilen und unsicheren Zeiten für die Zusammenarbeit und die Zielerreichung so wichtig ist. Dabei ist die Kommunikation den Bedürfnissen der unterschiedlichen Stakeholder anzupassen.

Die Mitarbeiter des Unternehmens haben andere Informationsbedürfnisse als Finanzierungspartner oder Kunden und Lieferanten. Auch eine nur eingeschränkte Kommunikation an einen Stakeholder kann z. B.   Finanzierungsquellen verschließen, wie dies ein familiengeführtes, kapitalstarkes, marktführendes Unternehmen der Mobilitätsbranche kürzlich erfahren durfte. 

Es gibt viel zu tun. Packen Sie es an. Denn wer jetzt nicht handelt, wird untergehen.
 

Die gesamte Beitragsreihe: Liquidität in disruptiven Zeiten


 

Zum Autor
 

Dr. Bernd-Michael Brunck ist als Interim Manager und Beirat / Aufsichtsrat tätig. Seine Leistungsschwerpunkte umfassen Restrukturierung, Sanierung und Turnaround Management. In mittelständisch geprägten Unternehmen übernimmt er Mandate als CFO/kaufmännischer Leiter, im Beteiligungscontrolling, für die Entwicklung von Kennzahlensystemen, die Unternehmungs(neu)finanzierung sowie Working Capital Optimierung.


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