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Ganzheitliche digitale Transformation: In kleinen Schritten zum Ziel

Geschrieben von Andreas Weis am 31. März 2021



Intelligent, transparent und agil: Die Digitalisierung verspricht revolutionäre Aussichten in der Produktion. Diese Potenziale können jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn die unterschiedlichen Einzeltechnologien integriert und zu einer holistischen Digitalstrategie gebündelt werden.  


Zugleich ist eine vorausschauende Einbettung in die anderen strategischen Programme des Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Die ständige intelligente Kommunikation von Maschinen und die damit verbundene Entstehung von Big Data ermöglicht immer komplexere Prozesse bei gleichzeitiger Kostensenkung. Letztlich führen die technologischen Innovationen zu besser vernetzten Unternehmen, in denen die Produktion als Ganzes betrachtet wird. 

Byron Vargas wird in diesem Interview mithilfe von zwei Best Practice Beispielen verdeutlichen, wie eine Digitalisierungsstrategie im Fachgebiet Industrial Internet of Things (IIoT) erfolgreich vorbereitet und etabliert werden kann und welche herausragenden Ergebnisse damit erzielt wurden.



Herr Vargas, Sie sind ein langjähriger und erfahrener Manager im Bereich der Industrie und haben eine Vielzahl von Digitalstrategien bereits umgesetzt. Können Sie sich selbst ein wenig vorstellen? 

Sehr gerne: Ich bin Maschinenbauingenieur und habe am WZL (RWTH Aachen) die Fachrichtung Fertigungstechnik und Produktionssystematik absolviert. Mein Werdegang ist von folgenden Elementen geprägt, die sich wie ein roter Faden durch zahlreiche internationale Stationen ziehen: 

  • Erfolgreiches Turnaround und Change Management 
  • Schaffen von Voraussetzungen für internationales Wachstum 
  • Erfolgreiches Innovationsmanagement 
  • Zahlreiche Greenfield- und Brownfield-Projekte für Produktionsstandorte weltweit 
  • Aufbau von globalen End-to-End-Supply Chain Organisationen 
  • Optimierung von globalen Produktionsnetzwerken anhand von Lean Prinzipien und digitalen Technologien 

Welche Herangehensweise haben Sie gewählt, um eine digitale Strategie aufzustellen? Welche strategischen Überlegungen standen am Anfang? 

Im Laufe von zahlreichen Projekten konnte ich sukzessive eine Methodologie für die Aufstellung einer digitalen Strategie entwickeln. Ausgangspunkt ist die Betrachtung des Reifegrades einer Organisation bzw. eines Produktionsstandortes hinsichtlich des Produktionssystems und des Einsatzes von digitalen Technologien in mehrfachen Dimensionen und Kennzahlen. 

Für KMU ist es in der Regel sehr schwierig, die richtige Vorgehensweise bei einer Digitalstrategie bei dem aktuell überaus komplexen Marktangebot herauszuarbeiten. Gleichzeitig wird jedoch hoher Druck von der Marktseite her auf die Unternehmen ausgeübt, eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit auch im digitalen Umfeld zu erreichen und höhere Anforderungen nach individualisierten Produkt- und Servicelösungen zu erfüllen.  
 

Können Sie dies anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen? 

Als Beispiel für eine gelungene Herangehensweise kann ein mittelständisches Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie genannt werden. Aus einer kritischen Liefersituation gegenüber den Kunden und einer angespannten Kosten- und Investitionssituation sollte ein Generalplan mit einer klaren Vorstellung von einem verbesserten und wettbewerbsfähigen Zielzustand erstellt werden. 

In der ersten Phase ging es darum, den Ist-Zustand über eine Analyse auf der Basis der wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Prozessabschnitte im Produkt-Wertefluss zu ermitteln. Daraus wurden Potenziale abgeleitet, die zusammen mit den strategischen Zielen des Unternehmens dazu dienten, ein weitsichtiges Zielbild für die Implementierung eines Produktionssystems in Verbindung mit einer digitalen Roadmap zu erarbeiten. Mit dem Zielbild wurden auch die Projekte und Maßnahmen identifiziert, die auf dieser Roadmap für das Produktionssystem und für die digitale Strategie zeitlich abgebildet werden. Wichtig ist hier die Verknüpfung zu anderen Programmen im Unternehmen (wie zum Beispiel in den Sparten Vertrieb, Marketing, IT, Kundendienst). 

Per Analyse konnte eine kritische Situation an einer der wichtigsten Engpassanlagen ermittelt werden, die den Gesamtoutput der Firma eingeschränkte. Jedoch konnte durch den Einsatz von gezielten und fokussierten Projekten speziell im digitalen Bereich rund um diese Engpassanlage der Effizienzgrad innerhalb von drei Monaten um 20 Prozentpunkte erhöht werden. Somit wurden die Rückstände gegenüber den Kunden kurzfristig abgebaut und innerhalb des Jahres eine deutliche Produktions- und eine Umsatzsteigerung erreicht. Der erfolgreiche Einsatz eines Condition Monitoring Systems mit einer ständigen Überwachung aller relevanten Prozessparameter an der Engpassanlage erlaubte es, die Störungen und deren Ursachen genauer zu identifizieren. Mittels Korrelation mit anderen Parametern konnte bei der Erarbeitung der Lösungen sichergestellt werden, dass nachhaltig die Quelle der Störungen behoben wurde.
 

Welche Voraussetzungen mussten zu ihrer Implementierung geschaffen werden? 

Mithilfe eines Zielbildes und den Projekt-Roadmaps werden die notwendigen Ressourcen und deren organisatorische Einbindung identifiziert. Außerdem hat sich als sehr hilfreich erwiesen, ein Projekt Management Office einzurichten, in dem Mitarbeiter gezielt den Fortschritt und die Umsetzung eines digitalen Programms verfolgen. 

Dabei steht am Anfang das Schaffen von Transparenz der Prozesse im Vordergrund. Diese führt auf der Prozessebene dazu, dass alle Planungsprozesse in der Supply Chain genauer beobachtet und durchgeführt werden können. 

Die Planungsprozesse auf der ERP Ebene benötigen oftmals einer Verfeinerung in der Planung, die näher an der Prozessebene mit Hilfe von Real-time Daten geschieht. Dazu kann zu Beginn über Pilotprojekte mit der Implementierung gestartet werden. Dies beinhaltet Maschinen und Anlagen über ein IIoT-System digital anzubinden und zu überwachen. So gelingt es, Transparenz zu den Störungsursachen der Maschine zu erzeugen. Über Condition Monitoring kann gezielt erkannt werden, woher die Störungen kommen, und so fokussiert dauerhafte Maßnahmen ausgearbeitet werden. 

Auf diese Weise konnten bei einem internationalen Konzern in kurzen, 3-monatigen Projekten sehr schnell Einsparungen erzielt werden. Hier ging es konkret um die Erhöhung der Anlageneffizienz und die Verringerung der Durchlaufzeiten. Aufgrund der kurzfristigen Reduzierung von Störungen konnten ebenfalls die Instandhaltungskosten signifikant reduziert werden. 

Letztendlich haben sich diese Projekte selbstfinanziert und das Vertrauen in weitere Vorhaben in der Organisation gestärkt. 

Was waren die größten Hindernisse in diesem Prozess? 

Das größte Hindernis ist, eine passende Strategie und Herangehensweise für das Unternehmen zu entwickeln. Das Angebot an Lösungen im Bereich IIoT ist vielfältig und schwer überschaubar. Im Falle des mittelständischen Unternehmens haben wir eine IIoT-Plattform eingesetzt, die es erlaubt, verschiedene Funktionen auf der Prozessebene bzw. auf der MES-Ebene (Planungsebene zwischen der ERP und der Prozessebene) modular einzuführen. Es gilt festzulegen, was eine Organisation konkret benötigt und in welcher Geschwindigkeit eine digitale Strategie umgesetzt werden kann. Dafür werden im nächsten Schritt gezielt die richtigen Technologien ausgewählt, die in einem zu erarbeitenden Business Case auf ihre Wirtschaftlichkeit für das Unternehmen geprüft werden.
 

Inwieweit waren andere Segmente wie Vertrieb, Lieferanten, F&E oder Kunden mit einbezogen? 

Eine digitale Unternehmensstrategie sollte sich auf die Betrachtung der Kunden, ihrer Bedürfnisse und Probleme zentrieren. Daraus können Lösungen für Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden. Auch neue Businessmodelle sind dadurch möglich. 

Sie zielt darauf ab, auf Basis einer Integration alle entstehenden Daten und das Wissen im gesamten Produktlebenszyklus greifbar und verfügbar zu machen. Diese sollten in einem Unternehmen zentral zugänglich sein und genutzt werden. Ebenso ist die Zusammenführung aller Zuständigkeiten, die mit der Wertschöpfung bzw. aller Mitarbeiter, die im Kontakt mit den Kunden an der Wertschöpfung arbeiten, von strategischer Bedeutung. 

Aus dieser Perspektive macht es Sinn, die Synergien im Unternehmen über alle Funktionsbereiche zu verfolgen und auch Lieferanten und Kunden miteinzubeziehen. Das Fundament bildet dabei die Einrichtung einer End-to-End Supply Chain Organisation mit den klaren Ansätzen aus der Betrachtung des Produktwertstroms: Source, Make und Deliver. Bei den Pilotprojekten wurden Source-Projekte wie zum Beispiel Milkrun-Projekte mit Lieferanten, um die Materialbestände zu verringern, umgesetzt. Die zahlreichen Projekte der Make-Komponente konzentrierten sich auf die Effizienzsteigerung. In Bezug auf den Deliver-Anteil wurden bei Kundenaufträgen verstärkt der Make-to-Order-Anteil erhöht und der Make-to-Stock-Anteil reduziert. Daraus folgte eine Herabsetzung der Fertigwarenbestände um 50 %. 

Grundsätzlich ermöglicht der Einsatz von IIoT-Plattformen, die Daten über verschiedene Systeme, Segmente und Ebenen abzugreifen, zu analysieren und die Grundlagen für weitere Optimierungen der Werteflüsse im Unternehmen zu schaffen. Dabei können die digitalen Lösungen anhand der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Ihr Einsatz sollte jedoch über den Aufbau von klaren Business Cases für Unternehmen wirtschaftlich dargestellt werden. 

Welche Erfolge konnten Sie bis dato durch die Digitalisierungsstrategie verzeichnen? 

Im mittelständischen Unternehmen konnten infolge von gezielten Projekten die gesamte Supply Chain kurzfristig optimiert werden und eine Umsatzsteigerung in Höhe von 30 % (Erhöhung des Umsatzes im zweistelligen Millionenbereich) erreicht werden. Die Engpassanlage hat eine Effizienz von 85 % umgesetzt (Ausgangsbasis 63 %). Dies wurde auf der Grundlage eines besseren Monitorings der Anlage mit digitalen Funktionen erzielt. Als Ergebnis wurden die Instandhaltungskosten und die Prozesskosten reduziert. Ebenso konnten mittels einer höheren Prozessstabilität und Qualität die Durchlaufzeiten für die umsatzstärksten Produkte um 50 % verringert werden. 

Mithilfe von digitalen Technologien wie Prozessüberwachung und Korrelation von Parametern über Algorithmen konnten bei einem internationalen Konzern der Konsumgüterindustrie folgende Ziele umgesetzt werden: Die Einhaltung der Prozesskosten beim Aufbau einer neuen digitalen Fabrik mit einer vollautomatisierten Montage sowie die Realisation der Wettbewerbsfähigkeit einer neuen patentierten Komponente auf dem Weltmarkt. Nach termingerechter Einführung konnten in dieser digitalen Komponentenfabrik in den letzten Jahren mehr als 20 Millionen Komponenten mit einer hohen Prozessstabilität und Produktqualität produziert werden. 

Wie haben sich seitdem die Rollen der Produktionsmitarbeiter verändert? Welche Skills sind in Zukunft notwendig? 

Die Rolle eines Mitarbeiters verändert sich zum Beispiel von reinen Montagearbeiten zu inhaltsvollen Aufgaben, die die Identifikation und Lösung von Problemen umfassen und somit entscheidend zur Prozessoptimierung beitragen. Gezielte Schulungs- und Ausbildungskonzepte befähigen die Mitarbeiter, Prozessdaten zu analysieren, Prozesse zu verstehen, Business Cases aufzubauen und den Einsatz von digitalen Lösungen vorzubereiten. Sie sind ein äußerst wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Digitalisierungsstrategie. 

Welchen Herausforderungen der Industrie 4.0 muss sich die Branche stellen? 

Es ist keine Frage mehr, ob man eine digitale Strategie haben muss. Wer nicht dabei ist, wird in kurzer Zeit abgehängt und schafft nicht mehr den Sprung auf den fahrenden Zug. Schnelligkeit bei der Implementierung ist enorm wichtig. Dafür sind externe Partner und ein Netzwerk der Zusammenarbeit und des Austausches sehr wertvoll. 

Warum scheuen sich noch viele Unternehmen diese Schritte zu gehen? 

Die Komplexität der angebotenen Lösungen und Vorgehensweisen ist enorm. Man braucht Experten, die das Unternehmen bei der Erarbeitung der richtigen Strategie begleiten. Das kann man nicht mit der vorhandenen Organisation im immer anspruchsvoller werdenden Tagesgeschäft schaffen. Meine Empfehlung ist daher klein anzufangen, aber mit konkreten Themen zu arbeiten. Am Anfang ist das Know-how besonders wichtig. Es kommt auf eine gute Mischung von Experten und eigenen Mitarbeitern an, die die Themen danach weiterentwickeln und in die Organisation tragen. 

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Produktion vor? 

Wir werden zunehmend digitale Technologien einsetzen und so die Produktion effizienter und wettbewerbsfähiger machen. Die Technologien werden die Arbeit erleichtern, aber auch höhere Anforderungen an das Wissen und die Erfahrung aller Mitarbeiter stellen. Diese Veränderung muss man langfristig planen und man sollte lieber heute als morgen damit beginnen. 

Ich bedanke mich für das Interview! 

 

Sollten Ihrerseits Fragen bestehen, trete ich gerne mit Ihnen in Dialog. 


Andreas Weis

Andreas Weis
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